Mozartstiftung

Ein Kompositionspreis im Namen Mozarts

von Peter Cahn

Unter den Preisen und Stipendien zur Förderung junger Komponisten nimmt die Frankfurter Mozartstiftung eine Sonderstellung ein: Sie ist nicht nur die älteste der heute noch wirksamen Stiftungen ihrer Art in Deutschland, sondern zugleich die ihrer Entstehung nach bemerkenswerteste. Im Gegensatz zu den meisten vergleichbaren Förderpreisen verdankt die Mozartstiftung ihre Gründung weder dem Vermächtnis eines Einzelnen noch der Initiative von Ländern, Städten oder sonstigen öffentlichen Körperschaften. Ins Leben gerufen und ein rundes Jahrhundert lang getragen wurde sie vielmehr von einem der ältesten deutschen Männerchöre, dem im Jahre 1828 gegründeten »Frankfurter Liederkranz«.Das Aufblühen des Männerchorwesens in jener Zeit des Vormärz entsprang nicht zuletzt den unerfüllt gebliebenen Hoffnungen auf nationale Einigung und konstitutionelle Sicherung bürgerlicher Rechte und Freiheiten. Es erfaßte vor allem den Süden Deutschlands, und die politischen Motive, von denen die Männerchorbewegung getragen war, fanden gerade in Frankfurt, am Sitz des Deutschen Bundestages, immer neue Nahrung.

Zu den Mitgliedern des »Frankfurter Liederkranzes« zählte seit 1832 auch Wilhelm Speyer, ein zu seiner Zeit geschätzter Komponist von Liedern, Chören und Kammermusikwerken. Auf ihn scheint die Idee der Mozartstiftung zurückzugehen, zu deren Verwirklichung dann die Mitglieder des »Liederkranzes«, aber auch breite Kreise der Bürgerschaft und namhafte Musiker aus allen Teilen Deutschlands tatkräftig beitrugen. Speyer hatte seine kompositorische Ausbildung bei Johann Anton Andre erhalten, dem Offenbacher Komponisten, Musiktheoretiker und Verleger, in dessen Besitz sich damals Mozarts handschriftlicher Nachlaß befand. Speyers Mozart-Verehrung geht auf diese Studienjahre zurück und blieb für sein ganzes Leben bestimmend. Er war persönlich bekannt mit Mozarts Söhnen Carl und Wolfgang Amadeus. Verbunden mit Mozart fühlte er sich auch in seinem Freimaurertum. Mozarts Bundeslied (»Brüder reicht die Hand zum Bunde«) erklang bei allen Festen des »Frankfurter Liederkranzes«. Nicht unwesentlich für das Gelingen des Planes einer Mozartstiftung wurde aber auch ein sehr realer Umstand in Speyers Leben: neben seiner Tätigkeit als Musiker übte er den Beruf eines Bankiers aus. An den vorausschauenden finanziellen Dispositionen des Statuts der Stiftung läßt sich dies sehr wohl erkennen.

Wie ungewöhnlich die Idee einer Stipendienstiftung für die damaligen deutschen Verhältnisse war, erfährt man recht drastisch aus Ludwig Börnes »Briefen aus Paris«. Im zwölften dieser Briefe (5. November 1830) erörtert Börne die Vernachlässigung des künstlerischen Nachwuchses in Deutschland und hebt demgegenüber französische Förderungsmaßnahmen hervor: »In Deutschland geschieht wohl manches für Kunst und Wissenschaft, aber für Künstler und Wissenschaftler gar nichts … Hier vertheilt die Regierung jährlich Preise für die besten Werke der Malerei, der Bildhauerkunst, Lithographie, Musik und so für alle. « Als Beispiel führt er den Rompreis an und fährt dann fort: »So hat die vorige Woche ein junger Mensch, namens Berlioz, den ersten Preis der musikalischen Composition erhalten. Ich kenne ihn, er gefällt mir, er siehet aus wie ein Genie. Geschiehet je so etwas bei uns? Denken Sie an Beethoven. O! Ich habe eine Wuth!«‘

So wenig Wilhelm Speyer die radikale Haltung Börnes teilen mochte, mit dem ihn persönliche Bekanntschaft verband, so gewiß verfolgte er dessen ausführliche Berichte aus dem Pariser Theater- und Musikleben. Es ließe sich demnach immerhin denken, daß bei der Konzeption der Mozartstiftung Börnes nachdrücklicher Hinweis befruchtend wirkte.

Zur Verwirklichung eines solchen Planes war allerdings im zersplitterten Deutschland auf Hilfe einer Regierung nicht zu rechnen. Es bedurfte vielmehr eines hinreichend großen Kreises Gleichgesinnter, wie er sich auf den Sängerfesten zusammen fand, zu denen sich seit der Mitte der dreißiger Jahre Chöre aus verschiedenen Städten trafen. Von der Obrigkeit wurden diese Treffen mit Argwohn beobachtet, obwohl an die Stelle politischer Forderungen, die meist verschwiegen wurden, ideale Zielsetzungen getreten waren: vornehmlich Huldigungen für große Gestalten der deutschen Vergangenheit und Kunst, denen Denkmäler gesetzt werden sollten.

Ein solches Sängerfest, an dem sich Chöre aus dem Rhein-MainGebiet, darunter auch der »Frankfurter Liederkranz«, beteiligten, fand 1837 in Mainz zugunsten eines Gutenbergdenkmals statt. Auf der Rückfahrt von Mainz nach Frankfurt schlug Speyer seinen Sangesbrüdern vor, für das folgende Jahr Chöre aus ganz Deutschland nach Frankfurt einzuladen. Der bei diesem Fest erzielte Überschuß sollte zum Grundstock eines Stiftungsvermögens werden, aus dessen Zinsen Stipendien zur Ausbildung begabter junger Komponisten vergeben werden könnten. Ursprünglich hatte man den erwarteten Gewinn zur Errichtung eines Mozartdenkmals verwenden wollen. Nun aber erschien die Errichtung einer Stipendienstiftung als schöneres, lebendigeres Denkmal Mozarts.

Das »Erste Deutsche Sängerfest« fand, wie geplant, vom 28. bis 30. Juli 1838 in Frankfurt statt. Rechtzeitig waren zuvor die Statuten der Mozartstiftung mit den Details der Stipendienvergabe ausgearbeitet und vom Frankfurter Senat genehmigt worden. Ein anschauliches Bild vom Beginn des Festes vermittelt in seinen Lebenserinnerungen Heinrich Hoffmann, der Arzt und Verfasser des »Struwwelpeter« – auch er Mitglied des »Liederkranzes«

»Es wurde Geld gesammelt, und so die ganze Einwohnerschaft für das Gelingen interessiert. Es wurde für gastfreie Unterkunft der zuströmenden Sänger gesorgt. Der Frankfurter Schweizer Schnyder-von Wartensee wurde Präsident und Wilhelm Speyer zweiter Präsident. Die Stadt geriet in volle Begeisterung, und die Ankunft der Sänger war herzlich und prangend, zumal an den mit Tausenden bedeckten Ufern des Mains. Bis in die Dachluken waren die Häuser mit Menschen besetzt mit

Taschentüchern und hellen Jubelrufen. Unter Böllerschüssen, umgeben von geschmückten Kähnen mit Musik, kamen zu Schiff die Mainzer, die Hanauer, die Offenbacher; durch alle Tore zogen sie ein. Ich war mit Schnyder und anderen zum Empfang am Fahrtor. Es war ein mächtig ergreifender Anblick, das künstlerische Interesse ward Nebensache, aber das nationale trat mächtig an uns heran; ich will nicht leugnen, daß mir die hellen Tränen über die Wangen rannen… «2

Für die Leitung des Konzerts am 29. Juli in der Katharinenkirche hatte Speyer Louis Spohr gewonnen, doch erhielt dieser von seinem Fürsten nicht den erbetenen Urlaub, so daß Karl Guhr, der angesehene Frankfurter Kapellmeister, an seine Stelle trat. Auf dem Programm standen u.a. Spohrs »Vater Unser« (nach Klopstock) und das Oratorium »Zeit und Ewigkeit« von Schnyder von Wartensee. Der folgende Tag brachte ein gemeinsames Singen der angereisten Chöre im Stadtwald und zum Abschluß ein Bankett in der Mainlust.

Der erzielte Überschuß von rund 1200 Gulden wurde durch weitere Sammlungen, Spenden, Konzerte des »Frankfurter Liederkranzes« sowie namhafter Solisten binnen kurzer Zeit so beträchtlich vermehrt, daß bereits zwei Jahre später, im August 1840, das erste Stipendium ausgeschrieben werden konnte. Speyer hatte es verstanden, seine freundschaftlichen Beziehungen zu zahlreichen Komponisten und Interpreten in den Dienst der Stiftung zu stellen. Wie er dabei vorging, verdeutlicht sein Brief an Spohr vom 18. Oktober 1839:

»… Nun habe ich noch eine Bitte. Es betrifft meine Schöpfung, die Mozartstiftung. Wir haben nun bereits 8000 Gulden Kapital und werden ohne Zweifel künftiges Jahr die Stiftung ins Leben treten lassen können. Die Idee von auswärtigen Bühnen durch Aufführungen Beiträge zu erhalten, wird sich nicht verwirklichen lassen, da zuviele Schwierigkeiten entgegenstehen. Wir müssen nun trachten auf anderem Wege Zuflüsse zu erhalten und so fordern wir deutsche Komponisten auf, die sich für diese vaterländische Stiftung, für dieses schönste, ewig andauerndste und sittlich erhabenste Denkmal Mozarts interessieren, uns, wenn auch nur kleinere Originalkompositionen mit der Bestimmung zu verehren, solche drucken zu lassen und das daraus zu erzielende Honorar unserer Stiftung zuzuwenden. Schon mehrere Komponisten haben uns teils freundliche Zusagen, teils Kompositionen gegeben und auch an Sie, den echt deutschen Altmeister, ergeht die Bitte … Ihr Beispiel wird und muß viele Nachahmer finden, und ich bin gewiß, keine Fehlbitte zu tun …«3

In entsprechender Weise wandte sich Speyer an Ferdinand Hiller, Ignaz Moscheles, August Wilhelm Zuccalmaglio, Giacomo Meyerbeer, Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Liszt, von denen nur wenige sich dieser Bitte versagten. Speyers unermüdliches Suchen nach Wegen, das Stiftungsvermögen zu vermehren, hatte einen sehr plausiblen Grund: Die Stiftung sollte nicht auf Vergabe von Einzelstipendien beschränkt bleiben. Schon in den Statuten von 1838 war die Gründung eines Konservatoriums in Frankfurt vorgesehen, sobald die Zinserträgnisse auf jährlich 2000 Gulden angestiegen seien. In einem Brief an Spohr vom 10. September 1838 umreißt Speyer dieses Ziel mit den Sätzen: »Ein Stipendium für unvermögende hervorragende Talente wird gegründet, aus dem später ein musikalisches Konservatorium hervorgehen soll. Jünglinge aus allen deutschen Landen sind dazu berechtigt. Dieses Institut kann dereinst Segen bringen und wird hoffentlich auch dazu beitragen, einen Damm gegen die Überflutung des schlechten Theatermusikgeschmacks zu bilden.« 4 Über die bloße Huldigung für Mozart hinaus werden hier die Intentionen der Stiftungsgründer deutlich: Wohltätigkeit, Patriotismus und Bewahrung bzw. Tradierung der Kunst der »klassischen« Meister in einer Zeit der Verflachung des musikalischen Geschmacks.

Die zur Gründung und Unterhaltung des geplanten Konservatoriums vorgesehenen Mittel waren freilich allzu knapp bemessen. Nach Eröffnung des Hochschen Konservatoriums im Jahre 1878 bot sich daher eine andere Lösung an: Die Stipendiaten empfingen innerhalb dieses Instituts ihre kompositorische Aus- bzw. Weiterbildung, ein Verfahren, das im Jahre 1892 durch eine Satzungsänderung legitimiert wurde.

Dennoch wird man den von der Mozartstiftung ausgehenden Impuls zur Gründung deutscher Konservatorien schwerlich überschätzen können. Zumindest für die Konservatorien in Leipzig (1843 durch Mendelssohn begründet) und Köln (1850 durch Hiller) dürfte das Projekt der Mozartstiftung eine wesentliche Anregung geboten haben. Dafür spricht nicht nur die zeitliche Nähe, sondern auch die persönliche Beziehung der beiden Gründer zu Wilhelm Speyer und zur Mozartstiftung.

Genau 50 Jahre nach Mozarts Tod konnte das erste Stipendium vergeben werden. In den Statuten waren die Einzelheiten der Ausschreibung aufs genaueste geregelt: Die Bewerber hatten unter Aufsicht eines Komponisten ein Lied und einen Streichquartettsatz auszuarbeiten und an den Verwaltungsausschuß der Stiftung zu senden. Drei Preisrichter, von denen mindestens zwei nicht in Frankfurt ansässig sein sollten, erhielten Abschriften der Bewerbungsstücke unter einem Motto, d.h. ohne Namen, aber mit Angabe des Alters der Bewerber und mit der Bitte, die vorzüglichste und die beiden nächstbesten Arbeiten zu bezeichnen. Bei divergierenden Urteilen hinsichtlich der besten Arbeit wurde ein weiterer Preisrichter zugezogen, dessen Stimme dann den Ausschlag gab. Der erwählte Stipendiat wurde dann einem »Meister der Compositionslehre zum Unterricht übergeben. « Die Höhe des Stipendiums lag anfangs bei 400 Gulden jährlich, dreißig Jahre später bei 1.800 Mark; es war damit durchaus ein Vollstipendium, das dem Begünstigten erlaubte, ohne materielle Sorgen seiner kompositorischen Ausbildung nachzugehen. Die Dauer dieser Förderung war auf vier Jahre begrenzt.5

Geht man die Namen der im Laufe der Jahrzehnte ausgewählten Stipendiaten durch, so zeigt sich, daß keineswegs alle in ihrer späteren Karriere primär als Komponisten hervortraten. Einige machten ihren Weg als Dirigenten – etwa Fritz Steinbach und Erich Schmid -, andere als Pädagogen, Universitätsmusikdirektoren oder Leiter von Konservatorien – so Leonhard Wolff, Adolf Weidig und Gustav Trautmann -, und gewiß hat keiner der Genannten sich der erhaltenen Förderung als unwürdig erwiesen. Andererseits gereicht es natürlich der Mozartstiftung zu höherer Ehre, daß sie Komponisten von Rang wie Max Bruch, Engelbert Humperdinck, Ludwig Thuille, Hermann Zilcher und Ernst Toch in einer frühen, oftmals entscheidenden Phase ihrer künstlerischen Entwicklung unterstützt und auf ihrem Weg bestärkt hat.

Wenn sie dazu in der Lage war, so vor allem aufgrund des Urteilsvermögens der Preisrichter, die sie zu gewinnen wußte. Eine imponierende Reihe klangvoller Namen von Komponisten, Musiktheoretikern und Dirigenten begegnet uns unter den Juroren, die für die Mozartstiftung tätig wurden, und zwar keineswegs ausschließlich Persönlichkeiten des konservativ-akademischen Lagers, was zu vermuten immerhin naheliegen könnte. Nennen wir an dieser Stelle wenigstens einige von ihnen: Louis Spohr, Franz Lachner, Heinrich Marschner, Moritz Hauptmann, Ferdinand Hiller, Robert Franz, Karl Reinecke, Felix Mottl, Gustav Kogel, Ludwig Rottenberg, Max Reger, Hugo Riemann, Joseph Haas, Hermann Scherchen und Arnold Mendelssohn; ferner die ehemaligen Stipendiaten Max Bruch, Engelbert Humperdinck und Ludwig Thuille.

Gestützt auf solche Berater hat die Mozartstiftung in der Zeit von 1841 bis 1938 nicht weniger als 300 000 Mark an Stipendien aufgebracht. Obgleich durch Inflation und Währungsreform schwer getroffen, hat sie 1971 ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, bei der Auswahl der Preisträger beraten u.a. durch Hans Ulrich Engelmann. Kompositionen von drei Stipendiaten der letzten beiden Jahrzehnte, Frank Michael, Hans Jürgen von Bose und Claus Kühnl, sind dieser Tage in Frankfurt zu hören. Keinem der Genannten konnte mehr ein Vollstipendium zuteil werden. Gleichwohl war ihnen die Förderung in der gerade heute so schwierigen Anfangsphase ihrer kompositorischen Entwicklung eine wertvolle Hilfe. Es wäre zu wünschen, daß diese Chance auch kommenden Generationen junger Komponisten erhalten bleibt.

Kehren wir nach diesem zwangsläufig sehr gestrafften Überblick noch einmal zu den frühen Jahren zurück. Bislang verschollene Akten und Bewerbungsunterlagen aus dem alten Bestand der Mozartstiftung sind erst kürzlich in den Besitz der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek gelangt. Aus ihnen ergibt sich ein Blick hinter die Kulissen der Stipendienvergabe. Interessant sind dabei nicht nur die Modalitäten der Ausschreibung, sondern vor allem die Namen der nicht zum Zuge gekommenen Bewerber und einzelne Beurteilungen durch namhafte Preisrichter.

Zunächst zum Ausschreibungsverfahren: Getreu der Bestimmung der Statuten, daß die Unterstützung »Jünglingen aus allen Ländern, in denen die deutsche Sprache die Sprache des Volkes ist«, zukommen könne, beschränkte sich die Ausschreibung nicht auf die wichtigsten Zeitungen und Musikzeitschriften innerhalb Deutschlands, sondern bezog auch die Schweiz und die deutschsprachigen Teile Österreich-Ungarns ein. Sie war außerordentlich breit gestreut. So finden sich denn auch unter den ausgewählten Stipendiaten Bewerber aus allen Teilen Deutschlands, drei aus der Schweiz (Friedrich Niggli, Werner Wehrli und Erich Schmid) und zwei aus Österreich (Ludwig Thuille und Ernst Toch). Was ursprünglich als Ausfluß deutschen Nationalgefühls in die Statuten eingegangen war, sicherte der Mozartstiftung in späteren Jahrzehnten ihre internationale Ausstrahlung.

Von den nicht zum Zuge gekommenen Bewerbern wußte man bislang nur wenig. Lediglich Hans Pfitzner hat über dieses ihm im Jahre 1888 widerfahrene Mißgeschick in seiner Schrift »Meine Beziehungen zu Max Bruch« ausführlich berichtet. Pfitzner hielt das von ihm eingereichte Streichquartett in d-moll für verloren; er zitiert in jener Schrift einige Themen daraus. Inzwischen ist dieses Quartett wieder aufgetaucht und im Druck erschienen; es scheint schwer vorstellbar, daß die Empfänger der beiden Stipendien, Adolf Weidig und Gustav Trautmann, auch nur annähernd gleichwertige Stücke eingereicht haben könnten, denn Pfitzners Quartett zählt zu den frühen Meisterwerken dieses Komponisten. Leider sind die Beurteilungen der Preisrichter, unter denen sich nach Pfitzner auch Max Bruch befand, nicht erhalten. Man könnte vermuten, daß sie das Quartett nicht als eigene Arbeit des Bewerbers ansahen, weil es ihnen allzu perfekt vorkam; mysteriös erscheint es jedenfalls, daß Pfitzner mit diesem Werk nicht einmal in die engere Wahl der »zweitoder drittbesten« Arbeiten hineinkam.

Allerdings stand Pfitzner mit diesem Pech keineswegs allein. An der Bewerbung um das dritte Stipendium im Jahre 1852 beteiligten sich außer dem damals fünfzehnjährigen Max Bruch zehn weitere Konkurrenten, darunter der gleichaltrige Adolf Jensen und der ein Jahr jüngere Joseph Rheinberger, deren Begabung das Preisrichterkollegium sehr wohl erkannte. Dennoch entschied es sich einhellig und unabhängig voneinander für Bruch, der dann Ferdinand Hiller zur weiteren Ausbildung anvertraut wurde.

Hillers Briefe an den Verwaltungsausschuß der Mozartstiftung zeugen von der gründlichen Planung der Ausbildung und von dem engen Kontakt zwischen Stiftung und Kompositionslehrer. In einem Brief vom 29. März 1853 schreibt Hiller an die Stiftung:

»Das Vertrauen, welches man mir beweist, indem man mir die musikalische Weiterbildung eines so bedeutenden Talentes, wie es der gegenwärtige Stipendiat der Mozartstiftung ist, anvertraut, ist mir ebenso schmeichelhaft wie erfreulich. Schon seit mehreren Jahren habe ich den lebhaftesten Antheil an der Entwicklung des jungen Bruch genommen und ihm bei seinen Arbeiten stets mit dem Rathe, den eine gereifte Erfahrung gibt, beigestanden. Es soll mir eine höchst ernsthafte Aufgabe sein, dieses schönen Talentes weiterhin zu pflegen.

Einen detaillierten Plan für seine künftige musikalische Erziehung zu entwerfen, wie dies bei einem Anfänger geschehen könnte, würde in diesem Fall aber schwer und unnütz sein. Es kann bei einem so vorgerückten Talente (dessen Arbeiten über denen mancher sogenannter Meister stehen) nur davon die Rede sein, fortwährend treulichst beobachtend strenge Kritik zu üben, anzuspornen, vor Abwegen möglichst zu bewahren, geläuterte Absichten einzupflanzen und – wie es sich beim Verlaufe verschiedenartiger Arbeiten herausstellen wird – durch spezielle Arbeiten die nöthige Übung zu geben, welche vielleicht hier und da Versäumtes nöthig machen. Im Allgemeinen denke ich den jungen Komponisten der Vokalmusik mehr zuzuführen als dies in Deutschland gewöhnlich der Fall – wo die Komponisten meistens von der Instrumentalmusik zur Gesangskomposition übergehen und eben letztere nicht leicht mehr zu bemeistern lernen. Jedoch werde ich auch hierbei den natürlichen Absichten des jungen Mannes nicht zu nahe treten.

Seien Sie überzeugt, meine Herren, daß Herr Bruch wenigstens in meiner Nähe der musikalischen Anregung nicht ermangeln soll, welche das Studium und die Analyse unserer großen Meister auf jeden Empfänglichen hervorbringen – und … ihn theilnehmend werden läßt an den vielfältigen Erfahrungen, welche ein unausgesetztes Studium und praktisches Wirken in einer Kunst, ich möchte sagen unvermeidlich an den Tag bringen. Von seinen Studienfortschritten Sie öfters auch durch Arbeiten Ihres Pfleglings zu überzeugen, werde ich gewiß ebenfalls nicht versäumen …«

Hillers Brief zeugt, wenn auch nicht ohne gewundene Formulierungen, von der sorgsamen, in wechselseitigem Einvernehmen mit der Stiftung getroffenen Planung der Ausbildung Bruchs, von Respekt vor der Aufgabe und vor der Institution, die sie ihm im Namen Mozarts übertrug. Weitere Briefe berichten vom Fortgang der Studien, von Bruchs Kompositionen, seiner menschlichen und geistigen Entwicklung.

Was die neu aufgefundenen Dokumente insgesamt angeht, so verdienen die leider nur spärlich erhaltenen Beurteilungen der Bewerbungskompositionen besonderes Interesse. Während Robert Franz etwa an einem Kandidaten poetische Veranlagung hervorhebt, findet sich in einer Bewertung Carl Reissigers die lobende Anerkennung »wohltuender Routine« – ein einigermaßen vernichtendes Urteil, weniger für den Bewerber als für den Preisrichter, das aber wohl als isolierte Verirrung gelten kann. Wieviel klarer urteilt doch Schnyder von Wartensee innerhalb der gleichen Ausschreibung (1846). Nachdem er die von ihm am besten befundenen Kandidaten benannt hat, wendet er sich ins Grundsätzliche und schreibt zur Begründung seiner Entscheidung:

»Nach dem Geist der Statuten hat ein Beurtheiler der eingesendeten Kompositionen nicht darauf zu sehen und zu entscheiden, welche davon die absolut Beste sei, sondern aus welcher sich das größte, das entschiedenste Talent eines Bewerbers erkennen lasse, und das sind zwei ganz verschiedene Dinge; denn es ist ja denkbar, daß eine solche Komposition voll von Harmonie-Schnitzern u.s.w. wäre, und doch unverkennbare Spuren von großem Genie trüge, und deren Verfasser nur keine Mittel und Gelegenheit gehabt hätte, den musikalischen Satz zu studieren; und so umgekehrt … «

Betrachtet man die eingesandten Kompositionen genauer, so zeigt sich, daß Schnyders Ausführungen zur Begründung dafür dienen, daß er den Bewerber mit der von Reissiger attestierten »Routine« nicht in die engere Wahl zog, während Reissiger ihm immerhin den dritten Platz zuerkannte. In ihrem Urteil über die beste der eingesandten Kompositionen waren beide mit Heinrich Marschner, dem dritten Preisrichter, einig: das zweite Stipendium der Mozartstiftung erhielt Caspar Jacob Bischoff aus Ansbach.

Die Mozartstiftung hat den »Frankfurter Liederkranz«, aus dem sie vor 150 Jahren hervorging, überdauert. Die überschaubare Lebensordnung und die Wertvorstellungen ihrer Entstehungszeit gehören unwiederbringlich der Vergangenheit an. Daß sie dennoch überleben konnte, verdankt sie sicherlich nicht zuletzt dem Namen Mozarts, unter dessen Schutz ihre Gründer sie in weiser Voraussicht stellten. Sie verdankt es ferner der zeitlos gültigen Notwendigkeit der angemessenen Förderung schöpferisch veranlagter junger Musiker.

Daß sie dabei nicht zu einem Überbleibsel vergangener Epochen erstarrte, sondern Anschluß an das Musikleben der Gegenwart fand, verdankt sie vor allem der Stadt Frankfurt und ihrem Musikbeauftragten Herrn Dr. Albert Fleury. Er hat die Aufgabe erkannt, den Traditionen der Stiftung neuen, aktuellen Sinn zu verleihen, und er hat erreicht, daß dieses wertvolle Kapitel der Frankfurter Musikgeschichte nicht sang- und klanglos schließt, sondern fortgeschrieben werden kann. Ihm und allen, die ihn dabei unterstützt haben, gebührt an diesem Tag unser Dank. Die Erfolge dieser Bemühungen sind bereits deutlich erkennbar. Die Mozartstiftung hat im Lauf ihrer Geschichte zahlreiche junge Talente gefördert. Sie verdient es, daß man sich ihrer weiterhin liebevoll annimmt.

1 Ludwig Börne: Gesammelte Schriften. Neue vollständige Ausgabe. Hamburg, Frankfurt am Main 1862. Bd. 8. S. 89.
2 Heinrich Hoffmann: »Struwwelpeter-Hoffmann« erzählt. Hrsg. v. Eduard Hessenberg. Frankfurt am Main 1926. S. 81.
3 Edward Speyer: Wilhelm Speyer, der Liederkomponist (1790-1878). München 1925. S. 213f.
4 Edward Speyer, a.a.O., S. 183f.
5 Abdruck der Statuten und ausführliche Einzeldarstellung in: Heinrich Weismann: Blätter der Erinnerung an das erste Deutsche Sängerfest und an die Gründung der Mozartstiftung. Frankfurt am Main 1863.

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